
Man kann thailändisches Essen lieben oder hassen. Man kann es essen oder verschmähen, es filmen, fotografieren oder einfach ignorieren. Man kann es kochen, kosten, komisch finden. Und man kann es beschreiben. Nicht nur für Letzteres habe ich mich entschieden. Die Idee dazu hatte ich allerdings relativ spät, Mitte 2017, mit 38 Jahren.
Geliebt habe ich Lebensmittel immer, dank der hervorragenden Küche meiner Mutter. Aber als ich mit 32 das Rauchen aufgab und in der Folge mein Geschmackssinn wieder seine volle Kraft entfaltete, wurde Essen zu einem magischen, fast heiligen Ritual.
Und dann kam die erste Reise nach Thailand, mit 35.
Ein Kollege und Freund überredete mich, sein Lieblingsland mit ihm zu besuchen und auf Bangkoks Straßen das echte thailändische Essen zu essen. Von dem Reiseziel war ich nicht schwer zu überzeugen, von dem Essen auf der Straße schon sehr. Für mich war klar, dass ich mir den Magen verderben würde und verstand nicht, warum ich deswegen für bekloppt gehalten wurde.
Landung in Bangkok, Hotel, raus, Altstadt. Walking Street Ram Buttri. Tuk Tuks, Straßenhunde, Auswanderer, Rucksacktouristen, Händler, Mopeds, Musik, Rauch, Kanalgeruch, Hitze, Luftfeuchtigket, Gewusel, Sonnenstrahlen im Gesicht, Lächeln überall. Vorbei an Restaurants.
Dann: Ein Grill, darauf Fische in Salzkruste, daneben so etwas wie ein Herd, eine Arbeitsplatte, davor eine Holzkiste, so groß wie ein Sarg. Tische, Stühle, darüber eine 10 mal 3 Meter große Plane gespannt. Ein Provisorium, wie ein Zelt auf einer Militärbasis. Gut besucht, 12 Uhr mittags. Drei Kellner, unzählige Gerichte auf der Karte. Ehe ich all das verarbeiten konnte, saßen wir auch schon – und blieben zwölf Stunden!
Wir aßen scharfen Papayasalat, geröstetes Huhn, Fisch in Salzkruste, gegrillte Garnelen, Muscheln. Und tranken dazu das kälteste Bier meines Lebens: Die Singha-Flaschen lagen in dem Sarg, der voller Eis war, die Flaschen waren beschlagen, Erfrischung pur. An diesem Ort verliebte ich mich in thailändisches Essen. Was nicht nur am Geschmack lag: Ich liebe es, in Thailand zu essen, weil das ein mehrschichtiges Erlebnis ist.
5 Gründe, warum ich so gerne in Thailand am Straßenrand esse:
- Es sind in erster Linie Geruch, Aussehen und Ausstrahlung des Streetfoodstands, die mich anlocken und überzeugen, dort zu essen. Denn ich sehe, wer was wie zubereitet und wie die Interaktion mit den Gästen abläuft. Ich sehe die Lagerung, die Zutaten, den Grad der Reinlichkeit des Betreibers und das fertige Produkt – bevor ich mich entscheide, dort zu bestellen. Dazu kommt, dass Thais es selbst mit einfachsten Mitteln schaffen, Gemütlichkeit auf den Bürgersteig zu zaubern. Etwa durch bunte Hocker und kostenlose Soßen. Es gibt also keine negativen Überraschungen!
- In zweiter Linie ist es ein kommunikatives Erlebnis. Will man mit Thais ins Gespräch kommen, gibt es keinen besseren Ort als ein Streetfoodrestaurant. Und das sollte man unbedingt tun, wenn man mal erleben will, wie lieb und entzückend erwachsene Menschen sein können.
- Es schmeckt einfach umwerfend. Selbst richtig langweilig klingende Gerichte wie Huhn mit Reis bereiten Thais so zu, dass man beim ersten Bissen innehalten muss vor Sprachlosigkeit. So wie in Thailand schmecken Lebensmittel leider nirgendwo. Sei es das Fleisch, seien es die Kräuter, die Früchte, das Gemüse. Wahres Koch-Können zeigt sich nicht im 26-Gänge-Menü, sondern im Drei-Zutaten-Gericht am Straßenrand. Nicht vergessen: Die Straßenköche arbeiten unter freiem Himmel, mitten in der Öffentlichkeit, sie können Fehler nicht vertuschen – und sie sind auch die Kellner in ihrem eigenen Betrieb. Sie sind meistens auf sich allein gestellt oder beschäftigen ihre Familie. Der Druck ist enorm, der Erfolg hängt an einem seidenen Faden. Deshalb bemühen sie sich so sehr, was für Produkt und Gast fantastisch ist.
- Es sieht verdammt gut aus. Das Kochen, der Teller, die Schüssel, das Gericht. So gut, dass man fast nicht mit dem Besteck eintauchen will.
- Thaifood am Straßenrand kostet im Schnitt ein bis zwei Euro. Richtig gelesen.
Und warum ich darüber schreibe, steht hier:
Soweit zu den Gründen, warum man Thaifood lieben könnte. Deshalb muss man ja noch lange nicht darüber schreiben. Die Erklärung dafür ist ganz einfach: Hätte mich nicht jemand dazu überredet, der sich damit auskennt, wäre ich wahrscheinlich heute noch ahnungslos, was für eine wunderbare Welt zwölf Flugstunden entfernt auf mich wartet. Und weil ich Angst hatte, gehe ich davon aus, dass auch andere sich nicht trauen, zuzugreifen und dieses Glück zu erobern. Deshalb möchte ich so vielen Leuten wie möglich die Angst vor thailändischem Straßenessen nehmen, indem ich darüber schreibe, was man wo gut essen kann, wie es schmeckt, wie man hinkommt und wie man was bestellt. Aber da sich immer weniger Menschen Zeit nehmen, einen Text zu lesen, drehe ich dazu Filme. Dann kann man wählen. Und vielleicht wählt ja deswegen jemand Thailand als nächstes Reiseziel und gibt sich dann vor Ort einen Ruck und beißt rein – und ist wie ich für immer verliebt. Oder eben auch ein Thaifoodjunkie …