
Die Schweigsame (r.) und die Schlechtgelaunte an ihrem wunderbaren Arbeitsplatz
Wenn man Geld für etwas bezahlt, dann erwartet man automatisch, dass das einem gedankt wird. Gerade in der Gastronomie giert man nach einem Lächeln, nach guter Laune, Freundlichkeit. Da kann das Essen auch noch so gut sein – wird man nicht gut behandelt, schmeckt’s einfach nicht so doll. Soweit die Theorie. Nun zur Praxis: An einem meiner liebsten Hühner-Streetfoodstände in Bangkok begrüßt man mich mit versteinerten Mienen. Warum ich dort trotzdem täglich esse, steht hier.
Die Schweigsame und die Schlechtgelaunte
Sukhumvit Soi 20. Dienstag bis Sonntag. Ganz am Anfang der Seitenstraße, neben den Motorbike-Taxlern. Beste Lage. Mieseste Laune. Zumindest, wenn ich die Lichtung betrete. Kurz vor meinem Erscheinen sehe ich Folgendes: eine hübsche Thai, Anfang 30, an der Arbeitsplatte eines Streetfood-Stands, vor ihr weißgekochte und knusprige Hühnerbrustscheiben, Reis, Suppe, scharfer Dip, dazu ein Schneidebrett, ein Hackebeil. Neben ihr: eine ältere Thailänderin, vielleicht 45, vielleicht ihre Mutter, auf jeden Fall ihre Angestellte. Sie nimmt die Bestellungen auf, serviert, räumt und wäscht ab. Landsleute werden von beiden Damen herzlich begrüßt, ein Schwätzchen hier, ein Lächeln dort. Der Stand ist von 7 bis 13 Uhr in Betrieb und das Duo verkauft eine Portion nach der anderen, wie am Fließband. Es gibt hier Khao Man Gai, also Reis (Khao) mit Huhn (Gai). Das ist eines dieser simplen Gerichte, die in ihrer Einfachheit atemberaubend schön sind. Hühnerbrust, in Scheiben gehack, auf Reis drapiert. Dazu Suppe, Dip, Ingwer und grüne Chilis. Schmeckt so gut, dass ich mich reinlegen könnte.

Idealzustand: Hühnersuppe mit Koriander, Hühnerknochen und Ingwer. Dazu gekochtes und knuspriges Huhn auf Reis mit Gurken und Dip
Soweit die Theorie, nun die Praxis: Sobald ich mich als Kunde zu erkennen gebe, verfinstert sich die Miene der Älteren. Und die Jüngere starrt nur noch verschämt auf ihre Arbeitsplatte. Es ist, als würde man beim Zahnarzt auf eine Wurzelbehandlung warten und plötzlich feststellen, dass die Ex am Empfang arbeitet und ihre Mutter die Ärztin ist. Rachegedanken huschen über das Gesicht der Älteren, ihre Mundwinkel berühren fast den Boden, es kommt keinerlei positive Reaktion auf meine Bestellung. Selbst die Tatsache, dass ich sie auf Thai durchgebe, macht nichts besser. Im Gegenteil: Ich habe das Gefühl, mich dadurch endgültig als Blender erkennen gegeben und vollkommen ins Aus geschossen zu haben. Natürlicher Reflex: nix wie weg.
Doch ich bleibe, allen Widrigkeiten zum Trotz
Ich setze mich trotzig und hoffe, dass ich trotzdem was zu essen kriege. Und siehe da: Ich bekomme eine Suppe, in der nix schwimmt, kein Gemüse, kein Ingwer. Ich blicke in die Schalen meiner Tischnachbarn und merke, dass ich benachteiligt werde. Anders beim Huhn. Das kommt reichlich und schön angerichtet, da lassen sie sich nicht lumpen, die Schüchterne und die Schlechtgelaunte. Ich kippe Ingwer und grüne Chilis in die kleine Schale mit dem scharfen Dip, rühre um, vermische alles. Und schütte es sorgfältig auf das Huhn und den Reis. So machen das auch meine Tischnachbarn. Ich ernte dafür aber von der Älteren nur einen abfälligen Blick, so als hätte ich den Dip auf dem Asphalt ausgeschüttet. Irgendwas Schlimmes muss in einem vorherigen Leben zwischen ihr und mir vorgefallen sein …

Sauber, aufgeräumt, appetitlich. Nur die Köchin möchte nicht zu sehen sein
Ich amüsiere mich ein bisschen darüber, ohne es mir anmerken zu lassen. Die Situation soll ja nicht eskalieren. Dann schnappe ich mir einen Löffel, den ich in einer Besteck-Schatulle auf dem Tisch finde – und schaufle Reis und Huhn und scharfes Zeug drauf. Dann ab in den Mund. Und Augen schließen. Das passiert bei mir ganz automatisch, wenn mir etwas unglaublich gut schmeckt. So wie dieser Löffel. Der Reis ist so zart und er trägt das Huhn quasi auf Händen, das Geflügel schmilzt in meinem Mund, fällt in sich zusammen. Die Zunge fühlt sich gut, das Essen ist lauwarm, ein bisschen scharf, erfrischend und rundum gut. Dann einen Löffel Suppe, Hühnerbrühe, wie bei Muttern. Kindheitserinnerungen werden wach an die Tage, an denen man krank zuhause lag, bekocht wurde – und noch ein bisschen simulierte, um mehr betüdelt zu werden, obwohl es einem längst besser ging.
Ich kann nicht ändern, was im Kopf von anderen vor sich geht
Ich lasse mein Umfeld spüren, wie gut es mir schmeckt, ich sage es auch auf Thai („aroi“). Die Motorbiketaxler finden das cool – die Ältere einfach nur ekelhaft, anbiedernd und völlig unangebracht. Die Schweigsame kann gar nicht hinsehen, so furchtbar findet sie meine Freude über ihr Werk. Ich denke mir, vermutlich haben sie nicht alle Schüsseln im Schrank. Aber egal, sie servieren einfach ein verdammt köstliches Huhn. Für 40 Baht (ein Euro). Und sicher verwechseln sie mich einfach bloß. Mit irgendeinem Arsch. Und hey: Beim zweiten Mal muss ich schon gar nicht mehr bestellen, ich setze mich einfach und kriege trotzdem das Richtige serviert. Und die Suppenschale wird mit jedem Mal etwas voller. Trinkgeld nehmen sie auch beim zehnten Mal nicht an. Das verbietet ihr Stolz. Da ist auf sie Verlass. Okay, verstanden. Ich komme trotzdem wieder. Sorry.
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